Anpassung der Mietobergrenzen – eine kritische Bestandsaufnahme

Kiel, den 28.02.2008

Anpassung der Mietobergrenzen – eine kritische Bestandsaufnahme

Das Amt für Familie und Soziales der Landeshauptstadt Kiel hat vor dem Hintergrund der lebhaft geführten Diskussion über die Aktualität, Angemessenheit und Brauchbarkeit der gegenwärtig geltenden Mietobergrenzen für Kiel Vorschläge für eine „behutsamen Anpassung“ gemacht. Diesem Vorschlag haben sich CDU, SPD und Grüne nunmehr fraktionsübergreifend angeschlossen. Die Beurteilung dieses Kompromisses durch die „Interessengruppe Mietobergrenzen“ fällt durchwachsen aus.

Die Anerkennung der tatsächlichen Kostenmiete als Mietobergrenze wird mit gemischten Gefühlen gesehen. Zwar ist im Grundsatz zu begrüßen, dass diejenigen Bezieher von Transferleistungen, die in geförderten Wohnungen mit einer so genannten Kostenmiete leben, zukünftig damit rechnen können, ihre Wohnungen nicht verlassen zu müssen. Allerdings betrifft dies nur einen geringen Teil der Bezieher von Sozialleistungen in Kiel, der in den noch verbliebenen circa 6.800 Sozialwohnungen lebt. Es gibt zudem viele Mietobjekte, bei denen die Kostenmiete höher liegt, als die ortsübliche Vergleichsmiete. Die Vermieter kompensieren dies zur Zeit dadurch, dass sie einen so genannten „Ertragsverzicht“ in die Wirtschaftlichkeitsberechnung einbauen, der eine überteuerte Sozialmiete auf marktübliches Niveau herunter bricht. Wenn tatsächlich die jeweils zulässige Kostenmiete als Mietobergrenze anerkannt wird, wird dies zwangsläufig dazu führen, dass die so genannten Ertragsverzichte aus den Wirtschaftlichkeitsberechnungen gestrichen werden. Die Miete steigt, die öffentliche Hand muss mehr bezahlen, ohne dass dies für den betroffenen Mieter oder die Stadt irgendeinen weiteren Vorteil hätte. Die Wohnung wird schließlich nicht besser dadurch, dass sie nur teurer wird.

Unser Maßstab und primäre Erkenntnisquelle für die Angemessenheit einer Miete ist die so genannte „ortsübliche Vergleichsmiete“, die der jeweils aktuelle Mietspiegel für Kiel ausweist. Nur diese gibt die marktüblichen Mietpreise hinreichend genau wieder, zu den sich tatsächlich Wohnraum anmieten lässt. Einer Anpassung der Mietobergrenzentabelle bedarf es mithin nicht. Es kann nicht darum gehen und ist auch mit der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts unvereinbar, erneut pauschale Obergrenzen festzusetzen – im schlimmsten Fall wieder für 16 Jahre.

Die Verwaltung beabsichtigt, an der überkommenen – auf die 1. Wärmeschutzverordnung von 1976 zurückgehenden – Differenzierung zwischen Wohnraum mit einer Fertigstellung vor 1976 und nach 1976 festzuhalten. Diese Differenzierung vermag heute nur noch bedingt zu überzeugen. Zwar ist einzuräumen, dass auch durch die letzte Erhebung zum Kieler Mietspiegel, die im Frühjahr 2006 stattgefunden hat, die Baualtersabhängigkeit der Mietpreise für Kiel jedenfalls noch bestätigt werden konnte. Da jedoch mittlerweile ein großer Teil des im städtischen Umfeld liegenden und ästhetisch reizvollen Altbaubestandes modernisiert ist und damit Wohnungsbestände der frühen Nachkriegszeit qualitativ deutlich übertrifft, lässt das Baualter einer Wohnung beziehungsweise ihre Bezugsfertigkeit mittlerweile keinen eindeutig signifikanten Schluss mehr auf die Qualität und den Standard der Wohnung zu. Dieser Veränderung im Wohnungsmarkt trägt auch der Regierungsentwurf vom 10.08.2007 zur Änderung des Wohngeldgesetzes (welches ebenfalls nach Baualtersstufen differenziert) Rechnung. In dem Regierungsentwurf ist eine derartige Differenzierung nicht mehr vorgesehen. Die im Bereich der Landeshauptstadt Kiel praktizierte parallele Anwendung unterschiedlicher Mietobergrenzen allein aufgrund des Kriteriums des Baualters der jeweiligen Wohnung erscheint darüber hinaus im Hinblick auf die damit verbundene Ungleichbehandlung der Leistungsbezieher untereinander äußerst problematisch. Es ist, solange in der Person des Grundsicherungsbeziehers und den weiteren Umständen keine Anhaltspunkte für eine Abweichung liegen, ein einheitlicher Maßstab für die Bestimmung der Angemessenheit einer Wohnung im jeweiligen örtlichen Bereich zu bilden. Diese Ansicht wird zunehmend auch in der Rechtsprechung geteilt und mit dieser Begründung eine Anwendung der Mietobergrenzen der Landeshauptstadt Kiel abgelehnt (so z.B. Sozialgericht Schleswig vom 20.11.2007 – S 12 SO 164/07 unter Bezugnahme auf LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 24.04.2007, L 7 AS 494/ 05).

Die Möglichkeit, im Einzelfall bei Familien ab drei Personen einer Neuanmietung auch dann zuzustimmen, wenn die Mietobergrenze um bis zu 10 % überschritten wird, wird im Grundsatz begrüßt. Es ist allerdings auf zwei Punkte hinzuweisen: Zum einen ist bei der Beurteilung der Angemessenheit der Unterkunftskosten grundsätzlich immer eine Einzelfallprüfung erforderlich, weswegen tabellarisch pauschalierte Höchstbeträge für Mieten unzulässig sind. Dies folgt bereits aus dem eindeutigen Wortlaut des § 22 Abs. 1 S. 3 SGB II („Besonderheit des Einzellfalles“), ist den Sozialbehörden aber auch noch einmal vom Bundessozialgericht mit aller Deutlichkeit ins Stammbuch geschrieben worden (BSG Urteil v. 7.11.2006, B 7b AS 10/06 R und BSG, Urteil v. 7.11.2006, B 7b AS 18/06 R). Zum anderen ist darauf hinzuweisen, dass bereits bisher bei Bestandsmieten im Einzelfall eine Überschreitung der Mietobergrenze von bis zu 10 % toleriert werden konnte (s. Anlage 1 zu § 3 des Vertrages über die Gründung einer Arbeitsgemeinschaft für den Bereich der Landeshauptstadt Kiel, dort unter II. 4. c erster Spiegelstrich). Von dieser Ausnahme wird allerdings praktisch kein Gebrauch gemacht – was die Gerichte bisweilen dazu veranlasst, dieser Verwaltungsvorschrift mangels erkennbarer Anwendung durch das Jobcenter Kiel keine Außenwirkung gegenüber den Betroffenen über den allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz (sog. Selbstbindung der Verwaltung) zuzuerkennen, so dass die Betroffenen sich vor Gericht auf diese Regelung mit Erfolg nicht berufen konnten. Es ist daher zu befürchten, dass aufgrund der insbesondere bei den Integrationsfachkräften des Jobcenters Kiel zu beobachtenden zunehmenden Weisungsgebundenheit und den damit einhergehenden immer stärker eingeschränkten Ermessensspielräumen auch die avisierte, wohlfeil im Trend liegende „familienfreundliche“ künftige Regelung das Papier nicht wert sein wird, auf der sie gedruckt ist.

Bei Wohnungen in den Baualtersklassen nach 1976 sind die Mietobergrenzen neu berechnet worden. Die Verwaltung behauptet: „angehoben“. Für die Mehrheit der Betroffenen in Ein-Personen Bedarfsgemeinschaften trifft dies nicht zu. Tatsächlich wird für Einpersonenhaushalte bis zu 25,75 € brutto/kalt weniger anerkannt! Führt man sich vor Augen, dass von den 36.686 Personen im ALG II Bezug circa 13.152 ALG II Empfänger in Kiel und damit fast 2/3 in Ein-Personen-Haushalten leben und nur circa 7.985 in den verbleibenden 3.705 Zwei-Personen-Bedarfsgemeinschaften beziehungsweise 4.280 Drei- oder mehr Personen-Bedarfsgemeinschaften (Quelle: Statistische Daten der Ortsbeiratsbezirke 2001 bis 2006), dann wird deutlich, dass von einer Anhebung der Mietobergrenzen ernsthaft nicht die Rede sein kann. Berücksichtigt man weiterhin, dass rund 19.000 Wohneinheiten mit bis zu 50 m2 etwa 38.800 Einpersonenhaushalte gegenüberstehen, die preisgünstigen Wohnraum nachfragen (Quelle: GEWOS, Kieler Wohnungsmarktkonzept, Mai 2007, S. 159), dann wird deutlich, dass die vorgebliche Anhebung der Mietobergrenzen für 2/3 der Hilfsbedürftigen die Möglichkeit, angemessenen Wohnraum auf dem Kieler Wohnungsmarkt zu finden, dramatisch verschlechtern wird.

Die Mitglieder der Interessengruppe Mietobergrenzen begrüßen, dass die Sozialbehörden künftig bei Einpersonenhaushalten 50 m2 Wohnfläche als angemessen anerkennen. Damit folgt nunmehr auch die Verwaltung der ständigen Rechtsprechung des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts und der erstinstanzlichen Rechtsprechung, nach der als Grundlage für die Beurteilung der angemessenen Wohnfläche die Verwaltungsvorschrift zur Sicherung von Bindungen in der sozialen Wohnraumförderung nach dem Wohnungsbindungsgesetz und Wohnraumförderungsgesetz (VvV-SozWo 2004) zugrunde zu legen ist.

Jochen Kiersch (Mieterverein Kiel e.V.), Rechtsanwalt Helge Hildebrandt (Anwaltliche Schuldnerberatung Kiel), Gerd Vogel (Sozialverband Deutschland), Hans-Jürgen Rummel (Verdi, Bezirk Kiel-Plön), Viktor Braun (Arbeitsloseninitiative Kiel e.V.), Werner Schollbach (Verein „Die Sozialen Engel“), Savas Sari (Vors. Türkische Gemeinde in Kiel e.V.), Jochen Schulz und Catharina Paulsen (Hempels e.V.), Rechtsanwalt Carsten Theden, Frau Dr. Dagmar Sanders, Herr Dr. Ulrich Schwarzmeier