Kieler Mieterverein zum „Masterplan Wohnen“: Im Ansatz gut und richtig – Defizite in der Substanz

Kiel, den 31.03.2015

Kieler Mieterverein zum „Masterplan Wohnen“:
Im Ansatz gut und richtig – Defizite in der Substanz

Der Kieler Mieterverein begrüßt die Aufstellung des „Masterplans Wohnen“ als einen Schritt in die richtige Richtung. Er hätte sich allerdings gewünscht, von Anfang an stärker in die Erarbeitung eingebunden worden zu sein, und zwar auch in den Arbeitskreisen.

Er unterstützt den Plan trotz erheblicher Bedenken, weil er es als richtig ansieht, die Probleme am Kieler Wohnungsmarkt gemeinschaftlich anzugehen. Dass aus dem Stand Einigkeit über alle notwendigen Maßnahmen erzielt werden könnte war ohnehin nicht zu erwarten. Überdies enthält der Plan Ansätze, die ohne weiteres die Unterstützung des Mietervereins erfahren. Die Beteiligung am Masterplan eröffnet dem Mieterverein zudem die Möglichkeit, darauf aufbauend seine weitergehenden Überlegungen vorzutragen und um deren Umsetzung zu werben.

Positiv bewertet der Kieler Mieterverein das Bekenntnis zum sozialen Wohnungsbau und zu verlässlicher Kommunikation und Kooperation der Marktbeteiligten. Auch die Überlegungen zu kurz-, mittel- und langfristigen Aktivitäten zur Entlastung des Wohnungsmarktes treffen im Wesentlichen auf die Zustimmung des Mietervereins. Der Mieterverein begrüßt das Bekenntnis zum Mietspiegel und die Absicht, Interventionsmöglichkeiten gegen Eigentümer vernachlässigter Wohnungsbestände zu prüfen, in der Erwartung, dass dem auch Taten folgen.

In Kiel besteht schon jetzt ein empfindliches Wohnungsdefizit. Das Statistische Jahrbuch konstatiert im Jahre 2012 einen Bestand von 134.546 Wohnungen. Davon abzuziehen ist die sogenannte „Mobilitätsreserve“ mit wenigstens 2 % des Wohnungsbestandes, entsprechend 2.700 Wohnungen. Diese Reserve wird benötigt, da bei fast jedem Umzug temporär zwei Wohnungen belegt werden. Der verfügbare Wohnungsbestand in der Stadt betrug also knapp 132.000 Wohnungen. Dem standen laut Statistischem Jahrbuch 138.599 Haushalte gegenüber. Damit fehlten im Jahre 2012 schon rein rechnerisch 6.600 Wohnungen. Selbst diese Zahl beschreibt den Mangel nur unzulänglich. Das Defizit erhöht sich nämlich um Wohnungen von Finanzinvestoren und einigen Privatanbietern in Schrottimmobilien, die dem Wohnungsmarkt tatsächlich nicht zur Verfügung stehen. Auch Ferienwohnungen sind abzuziehen. Der Kieler Mieterverein beziffert das Wohnungsdefizit im Jahre 2012 auf rund 8.500 Wohnungen und auf rund 10.000 Wohnungen bis zum Jahresende 2015.

Deswegen hält der Kieler Mieterverein die im Masterplan ausgegebene Zielvorgabe von 800 bis 900 neu zu bauenden Wohnungen jährlich für deutlich zu kurz gegriffen. Die Annahme stützt sich auf die Bevölkerungsprognose vom September 2014, die schon jetzt überholt ist. Sie erwartet für den Zeitraum 2013 bis 2034 Einwohnerzuwächse zwischen 11.016 und 17.115 Personen. Dies entspricht jährlichen Zuwächsen zwischen 525 und 815 Personen. Diese Schätzung bleibt weit hinter der Wirklichkeit zurück. Zwischen dem 01.01.2010 und dem 31.12.2014 hat Kiels Einwohnerzahl um 7.076 Personen zugelegt, entsprechend 1.415 Neubürgern jährlich. Bei einer durchschnittlichen Größe von 1,72 Personen je Haushalt entspricht dies einem Zuwachs von 4.114 Haushalten. Im gleichen Zeitraum betrug der Nettozugang an Wohnungen jedoch nur 1.170 Einheiten. In dieser Zeit hat sich ein zusätzliches Defizit von 2.944 Wohnungen aufgebaut. Nach Auffassung des Kieler Mietervereins müsste daher die Zielvorgabe des Masterplans auf wenigstens 1.000, besser 1.200 neu zu bauende Wohnungen jährlich ab dem Jahre 2015 aufgestockt werden. Dabei ist unter Berücksichtigung der Baugenehmigungszahlen in 2013 und 2014 schon jetzt absehbar, dass die geforderten 800 Neubauwohnungen in 2015 nicht annähernd erreicht werden. Zusätzlich wäre die aktuelle Entwicklung bei der Zahl der Flüchtlinge und dem daraus resultierenden Wohnungsbedarf, sowie der anhaltende Trend zu immer kleineren Haushaltsgrößen zu berücksichtigen. Dieser Trend bewirkt einen weiterhin wachsenden Wohnflächenkonsum.

Jahr

Einwohner

Zugang
Einwohner

Zugang
Haushalte

Nettozugang
Wohnungen

Wohnungsdefizit

2010

236.008

744

433

68

365

2011

237.584

1.576

916

316

600

2012

239.320

1.736

1.009

280

729

2013

240.299

979

569

186

383

2014

242.340

2.041

1.187

320

867

kumuliert

7.076

4.114

1.170

2.944

(Einwohnerzahlen, durchschnittliche Haushaltsgröße und Nettozugang an Wohnungen sind der amtlichen Kieler Statistik entnommen, Haushaltszahlen und Wohnungsdefizit sind daraus durch eigene Berechnungen ermittelt worden.)

Der Kieler Mieterverein teilt nicht die im Masterplan aufgestellte These, alle Beteiligten seien sich darüber einig, dass vorrangig vor ordnungspolitischen Maßnahmen der Wohnungsneubau am besten geeignet sei, den Nachfragedruck am Wohnungsmarkt zu reduzieren und zur Stabilität der Mieten beizutragen. Sie stimmt nach Meinung des Mietervereins selbst dann nicht, wenn die Bautätigkeit planmäßig erfolgt, weil die Wirkungen des Neubaus erst in mehreren Jahren zu erwarten sind. Aus dem gleichen Grunde kann sich der Mieterverein nicht mit der Aussage identifizieren, die Anwendung ordnungspolitischer Maßnahmen müsse immer das letzte Mittel sein. Noch bleibt die Neubauleistung weit hinter den Erfordernissen zurück. Bis in ein paar Jahren tatsächlich eine marktwirksame Anzahl von Neubauwohnungen fertiggestellt sein wird, verschärft sich die Situation am Wohnungsmarkt weiter. Außerdem entlastet der Mietwohnungsneubau – soweit nicht öffentlich geförderte Wohnungen errichtet werden – nur das teure Marktsegment. Für Normalverdiener sind Neubauwohnungen unerschwinglich. Für diese Zeit werden vorübergehend sowohl die Kappungsgrenze, wie auch die Mietpreisbremse gebraucht. Der Kieler Mieterverein wird diese Forderungen weiterverfolgen. Meinungen, entsprechende Verordnungen würden die Modernisierungs- und Neubautätigkeit ausbremsen, übersehen, dass umfassende Modernisierung und Neubau von beiden Gesetzesgrundlagen ausdrücklich ausgenommen sind.

Nach Auffassung des Kieler Mietervereins beschreibt der Masterplan in weiten Teilen Selbstverständlichkeiten. Natürlich müssen die Baulandbereitstellung und die Bautätigkeit angekurbelt, die Rahmenbedingungen und die Kooperation verbessert und dabei die Bedürfnisse besonderer Zielgruppen besonders berücksichtigt werden. Die Erschließung neuer Bauflächen, die Hinterland-, Hinterhof- und Lückenbebauung gehören zum Alltagsgeschäft jeder Stadtplanung.

Nach Meinung des Mietervereins fehlt dem Masterplan die langfristige Perspektive. Er bekennt sich zwar zum sozialen Wohnungsbau, äußert sich aber nicht zu der Frage, wie viele öffentlich geförderte Wohnungen denn in Zukunft benötigt werden. Der Sozialwohnungsbestand in Kiel ist binnen kürzester Zeit um mehr als 50 % eingebrochen – alleine um 3.280 geförderte Wohnungen im Jahre 2014. Von früher rund 15.000 Sozialwohnungen sind nur noch 6.200 übrig geblieben und die befinden sich zum größten Teil auch noch in der Hand von Finanzinvestoren. Der weitere Abschmelzprozess ist wegen der Darlehenstilgungen vorprogrammiert. Wenn die Stadt 30 % der im Masterplan für die Neubautätigkeit vorgesehenen 800 Wohnungen mit öffentlicher Förderung errichten will, entspricht dies rund 270 neu zu bauenden Sozialwohnungen jährlich. Es würde zwölf Jahre dauern, um allein die in 2014 entfallenen Sozialbindungen zu kompensieren. Der reguläre Abschmelzprozess wäre dabei noch völlig unberücksichtigt.

Nach Auffassung des Kieler Mietervereins benötigt Kiel einen Bestand von rund 12.000 öffentlich geförderten Wohnungen. Dabei geht es nicht nur darum, preiswerte Mieten zu garantieren und damit den Wohnungsmarkt im Sinne der Mieterschaft und im Sinne der Landeshauptstadt, die die Kosten der Unterkunft für 23.000 Kieler Haushalte teilweise oder vollständig aus dem eigenen Haushalt bezahlen muss, zu beeinflussen. Öffentlich geförderte Wohnungen haben zusätzlich den außerordentlichen Vorzug, dass wohnberechtigte Mieter bei der Bewerbung um diese Wohnungen von der Konkurrenz durch besser verdienende Haushalte freigestellt sind. Öffentlich geförderte Wohnungen sind damit gleichzeitig ein Instrument, um der Segregation in Kiel entgegenzuwirken und die soziale Durchmischung in der Stadt zu steuern. Dabei muss bedacht werden, dass der Anteil einkommensschwacher Haushalte weiterhin spürbar steigen wird. Ursache hierfür sind die gewollte Absenkung des Rentenniveaus, sowie die Zunahme gebrochener Erwerbsbiografien und prekärer Anstellungsverhältnisse. Deswegen ist nach Meinung des Mietervereins eine Aufstockung des Anteils öffentlich geförderter Wohnungen auf 50 % der Neubautätigkeit erforderlich – mindestens 500 Wohneinheiten jährlich – und zwar so lange, bis der Bestand öffentlich geförderter Wohnungen wieder auf wenigstens 10.000 Einheiten angewachsen ist.

Als „Masterplan“ sollte dem Papier eine Aussage darüber zu entnehmen sein, wie die Stadt langfristig ein bezahlbares Mietenniveau garantieren will. Der Kieler Mieterverein regt deshalb den allmählichen Wiederaufbau eines kommunalen Wohnungsunternehmens an. Mit diesem Instrument ließe sich der Kieler Wohnungsmarkt nachhaltig positiv beeinflussen, wie die Beispiele derjenigen Kommunen zeigen, die ihre Gesellschaften gehalten haben: Eine kommunale Wohnungsbaugesellschaft

  • müsste nicht zweistellige Renditeerwartungen befriedigen und könnte deswegen – ähnlich wie Genossenschaften – Wohnungen sehr viel preiswerter anbieten als Finanzinvestoren
  • könnte sich – dem Interesse der Stadt folgend – sehr viel stärker im sozialen Wohnungsbau engagieren, als dies Finanzinvestoren oder private Vermieter tun
  • könnte vernachlässigte Gebäude nach und nach aufkaufen, sanieren und wieder für den Mietwohnungsmarkt öffnen
  • würde sicherstellen, dass ihr Wohnungsbestand nicht verwahrlost und damit einen erheblichen Beitrag zur Quartierspflege leisten – sie müsste dazu nicht mit einem Wohnungsaufsichts- und Pflegegesetz gezwungen werden
  • könnte auch im Bereich der Betriebskosten einen Beitrag zur Entlastung einkommensschwacher Mieterhaushalte und des städtischen Sozialetats leisten, weil viele Unternehmen der Wohnungswirtschaft die Betriebskosten künstlich hochschrauben, um eine zusätzliche Rendite zu erwirtschaften.

Gegenüber dem „Kleinen Kiel-Kanal“ oder der „Stadtregionalbahn“ wäre nach Auffassung des Mietervereins eine kommunale Wohnungsbaugesellschaft das mit Abstand nachhaltigste Projekt. Der Oberbürgermeister hat sich allerdings bereits mehrfach gegen dieses Instrument ausgesprochen. Der Kieler Mieterverein schlägt deshalb vor, die Wirtschaftlichkeit und den sozialen Nutzen einer kommunalen Wohnungsbaugesellschaft durch ein Sachverständigengutachten ermitteln zu lassen. Er ist überzeugt, dass eine gründliche Untersuchung die Sinnhaftigkeit und die Bezahlbarkeit belegen wird.

Der Kieler Mieterverein bietet auch weiterhin die kritische aber konstruktive Begleitung der kommunalen Wohnungspolitik an. Er erwartet aber auch, in die notwendige Diskussion um wohnungspolitische Maßnahmen frühzeitig und umfassend eingebunden zu werden.

Verantwortlich: Jochen Kiersch, Kiel