Mieterfragebögen: Alles dabei – von nachvollziehbar über merkwürdig bis bedenklich

Kiel, den 29.05.2000

Mieterfragebögen: Alles dabei – von nachvollziehbar über merkwürdig bis bedenklich

Die jüngste Presseberichterstattung zu Mieterfragebögen hat den Kieler Mieterverein veranlasst, die größeren Wohnungsanbieter im Großraum Kiel zu bitten, Ihre Fragebögen zur Verfügung zu stellen. Von 21 befragten Unternehmen haben sich 12 beteiligt, die einen Bestand von rund 60 Tausend Wohnungen repräsentieren.

Unter ihnen alle größeren Wohnungsbaugesellschaften mit Ausnahme der Firmengruppe Frank (trotz Zusage). Die Wissbegierde erstreckt sich zusammengefasst auf 25 Tatbestände. Dabei stehen Fragen nach dem Einkommen und den Familienmitgliedern (9 von 12) an vorderster Stelle. Großes Interesse haben die Anbieter auch an Schulden und Vollstreckungsmaßnahmen (8 von 12), am Vorhandensein von Haustieren und am jeweiligen Arbeitgeber (7 von 12). Immerhin 5 Anbieter lassen sich eine Bescheinigung des vorherigen Vermieters vorlegen. Hier wird in erster Linie abgefragt, ob Zahlungspflichten pünktlich erfüllt wurden (5 von 12), der Mieter früher schon einmal Vertragspartner war (4 von 12), die Wohnung gepflegt wurde (4 von 12) und welches der Grund für den Wohnungswechsel war (4 von 12). 3 Unternehmen fragen nach der Nationalität des Wohnungsbewerbers und ebenfalls 3 möchten wissen, wer die Wohnung gekündigt hat. Jeweils zweimal tauchen Fragen auf nach Transferleistungen (Wohngeld, Arbeitslosengeld, Arbeitslosenhilfe pp.), ob die Hausordnung eingehalten wurde, ob das Arbeitsverhältnis gekündigt ist und wie lange der Mieter in der alten Wohnung gewohnt hat. Auf Vorlage einer Arbeitgeberbescheinigung bestehen 2 Unternehmen auf Vorlage einer Schufa-Selbstauskunft; ebenfalls 2 Unternehmen lassen sich die Genehmigung erteilen, Auskünfte einzuholen. Mit der neu eingeführten Praxis, die Mieter in ihren bisherigen Wohnungen aufzusuchen, steht unter den großen Wohnungsunternehmen die im Eigentum der WCM stehende KWG allein auf weiter Flur.

 

Und wer kommt mit dem umfangreichsten Fragenkatalog daher? Am genauesten will es die BGI wissen; sie verlangt Bescheinigung des bisherigen Vermieters, des Arbeitsgebers, eine weitreichende Selbstauskunft und die Genehmigung „soweit erforderlich vor Vertragsabschluss Auskünfte einzuholen“. An zweiter Stelle liegt schon die Wohnungsbau-Genossenschaft Kiel-Ost mit einem 2-seitigen „Bewerbungsbogen“, der unter anderem Nationalität, Beruf, Arbeitgeber, Einkommen, Kinder, Haustiere, den jetzigen Vermieter und Fragen zu privaten Versicherungen enthält. Vorzulegen ist eine ausführliche Bescheinigung des bisherigen Vermieters. Es folgen KWG, LEG und Preussag Immobilien. Einsam am Ende die Baugenossenschaft Mittelholstein, die allerdings eine Schufa-Auskunft haben möchte.

Fazit des Mietervereins: Bei der professionellen Wohnungsvermietung gehört das Ausforschen zum Geschäft. Je größer, desto neugieriger.

Während der Fragenkatalog der BGI noch an die Neue Heimat erinnert, erscheint der von Falk Immobilien vergleichsweise zurückhaltend.

Zusammenfassend vertritt der Mieterverein die Auffassung, dass hier mit viel Aufwand wenig bewirkt wird und die Mieterausforschung insgesamt äußerst fragwürdig ist. Sie verleitet zur Unwahrheit mit begrenztem Risiko. Zwar sind beispielsweise Fragen zum Einkommen grundsätzlich wahrheitsgemäß zu beantworten – die wahrheitswidrige Angabe berechtigt aber nicht ohne weiteres zur Kündigung, wenn der Mieter ansonsten seine mietvertraglichen Verpflichtungen erfüllt. Umgekehrt steht fest, dass ein Vermieter zur fristlosen Kündigung bei 2-monatigem Mietrückstand sowieso berechtigt ist, egal was im Fragebogen stand.

Im Ergebnis bewirken diese Fragebögen die Ausgrenzung der Ehrlichen, die bei wahrheitsgemäßer Angabe ihrer finanziellen Defizite Gefahr laufen, eine Wohnung nicht zu bekommen, während diejenigen, die es mit der Wahrheit nicht so genau nehmen, dem gegenüber im Vorteil sind. Bei alledem übersehen diese Fragebögen, dass die Sozialhilfe beispielsweise eine „sichere Bank“ ist. Sozialämter pflegen pünktlich zu zahlen. Aber auch die „Vermieterbescheinigungen“ sind ein zweischneidiges Schwert; sie geben denjenigen, die ihre Mieter mit unzulässigen Miethöhen, mangelhaften Wohnungen, falschen Heiz- und Betriebskostenabrechnungen übervorteilen wollen, ein Disziplinierungsmittel an die Hand. Wer berechtigerweise die Miete gemindert oder fehlerhafte Abrechnungen nicht bezahlt hat, bekommt die Bescheinigung nicht. Die Wohnungswirtschaft macht sich damit zum Komplizen von „Miethaien“. Und auch die Frage nach dem „sozial-adäquaten“ Verhalten in der bisherigen Wohnung dürfte kaum das bewirken, was sie eigentlich soll. Ein Vermieter, der einen wahren Störenfried in seinem Hause hat, wird dessen Untaten kaum in der Vermieterbescheinigung dokumentieren. Dann wird er ihn nämlich erst recht nicht los. Nicht einmal die Schufa-Bescheinigung ist „das Gelbe vom Ei“; nicht selten sind die Daten überholt und wer sich einen Eintrag eingefangen hat, kann trotzdem ein zuverlässiger Vertragspartner sein. In diesem Zusammenhang gibt der Mieterverein zu bedenken, dass er innerhalb der letzten 15 Jahre – soweit ersichtlich – keinen einzigen Fall zu bearbeiten hatte, bei dem ein Vermieter Maßnahmen aufgrund von falschen Angaben in Mieterfragebögen umsetzen wollte.

Im Einzelnen übt der Mieterverein Kritik: Die LEG lässt sich das Recht einräumen, die durch den Fragebogen gewonnenen Daten auch an Dritte zu übermitteln. Zwar soll dies lediglich zu Bearbeitungszwecken im Zusammenhang mit der Vermietung und Verwaltung der Wohnung geschehen, trotzdem ist dies nach Auffassung des Mietervereins unangemessen. Mietinteressenten der Firma Stöben müssen unterschreiben, dass sie „voll geschäftsfähig“ sind und auch die ausgeprägte Neugier der Wohnungsbau-Genossenschaft Kiel-Ost war eine echte Überraschung.

Als bedauerlich bezeichnet es der Mieterverein, dass Haus & Grund seine Formulare nicht geschickt hat. Die Organisation predigt den Konsens; aber wenn es darum geht, ihn zu praktizieren, taucht sie ab – egal ob beim Mietspiegel, beim Heizspiegel oder bei Umfragen wie dieser.

Eines hat sich allerdings nach Auffassung des Mietervereins dramatisch bestätigt; Auslöser für die Umfrage waren die Praktiken der KWG bei der Wohnungsvergabe. Und in der Tat steht das Unternehmen mit seiner Form der Mieterausforschung einsam im Abseits; das fängt schon an bei der Tatsache, dass – im Gegensatz zu anderen Anbietern – der Fragebogen dem Mieter gar nicht ausgehändigt, sondern hausintern ausgefüllt und weiterverarbeitet wird. Der Mietinteressent muss seine persönlichsten Daten preisgeben und erhält nicht einmal eine Abschrift, kann die Eintragungen in seiner „Wohnungsbewerbung“ nicht kontrollieren. Dabei steht der interne Fragebogen der KWG dem der BGI kaum nach. Nationalität und Sprachkenntnisse, die Quelle des Einkommens und ob es früher schon Mietrechtsstreitigkeiten gab – kaum etwas, was die KWG nicht wissen möchte. Und in der Tat hat sich herausgestellt, dass die Kieler Wohnungsbaugesellschaft das einzige Unternehmen ist, welches einen „Kontrollbesuch“ in der bisherigen Mieterwohnung durchführt und dies auch zur Bedingung für Mietvertragsverhandlungen macht. Dies alles geht nach Auffassung des Mietervereins entschieden zu weit; der Appell, die Mieterausforschung zu überdenken gilt im besonderen Maße für die WCM / KWG. Partnerschaftliches Verhalten setzt auch ein Vertrauensverhältnis voraus. Die KWG als ehemals kommunales Wohnungsunternehmen unterliegt deswegen auch noch einer erhöhten Sozialpflichtigkeit. Die Stadt ist aufgefordert, über ihren Sitz im Aufsichtsrat Einfluss auf das Unternehmen auszuüben. Kiel muss ein besonderes Interesse daran haben, dass diese Praxis unterbunden wird, weil die „Aufrüstung“ bei der KWG den Wohnungsmarkt genau für diejenigen Haushalte versperrt, an deren angemessener Wohnungsversorgung die Stadt ein besonderes Interesse haben muss. Wenn der Markt für finanzschwache Haushalte „dicht gemacht“ wird, drückt sich dies in steigenden Mieten für diese Haushalte aus und wird gerade deshalb der Sozialetat der Landeshauptstadt bluten müssen.

Zum Schluss: Der Kieler Mieterverein regt die Wohnungsunternehmen an, ihre Fragebögen zu entschärfen und im Internet zu veröffentlichen. So können Mietinteressenten schon vor Beginn der Vertragsverhandlungen feststellen, was ihnen abverlangt werden wird und daraus eine Vorauswahl treffen. Bei dieser Gelegenheit wiederholt der Mieterverein seinen Appell an die Mieterschaft, Fragebögen von Vermietern, die sich an dieser Aktion nicht beteiligt haben, dem Mieterverein in Kopie zu überlassen.

 

Die Sprechstunde des Kieler Mietervereins findet montags bis freitags von 9.00 – 13.00 Uhr sowie dienstags und donnerstags von 15.00 – 18.00 Uhr in der Geschäftsstelle 24103 Kiel, Eggerstedtstr. 1, statt. Fernmündlich ist der Verein unter 0431/97919-0 zu erreichen. Für die Inanspruchnahme der Leistungen des Kieler Mietervereins ist eine Mitgliedschaft erforderlich.

Verantwortlich: Jochen Kiersch, Kiel